„Ich lebte nun ganz der Wissenschaft…" Christian Keferstein – ein hallischer Amateurgeologe des 19. Jahrhunderts

An der Wende zum 19. Jahrhundert etabliert sich die Geologie – damals gemeinhin noch Geognosie genannt – allmählich als eigenständige Naturwissenschaft. Gebildete Dilettanten sind keine Seltenheit, denn die Geognosie ist en vogue. Christian Keferstein, der am 20.Januar 1784 in Halle geboren wird, gehört zu jenen letzten Amateurgeologen. Keferstein entstammt einer sächsischen Papiermacherfamilie, sein Urgroßvater hatte einst die Papiermühle am Saaleufer in Kröllwitz gepachtet. Christian aber, der in einem aufgeklärten und gebildeten Haushalt aufwächst, soll kein Papiermüller werden, sondern Jurist – wie sein Vater Gabriel Wilhelm Keferstein (1755–1816), dem Förderer der Braunkohlengewinnung um Halle und kurzzeitigen Bürgermeister der Stadt. Schon bald nach dem Studium praktiziert Keferstein als Rechtsanwalt; erfolgreich und mit beachtlichem Einkommen zwar, aber ohne rechte Leidenschaft. Seit Kindheitstagen gilt seine wahre Liebe den Steinen, entfacht durch einen geheimnisvollen Dachbodenfund: ein Kästchen mit funkelnden Mineralien, das seiner Mutter gehört hatte und dem sich der Knabe fortan begeistert widmet. Dieser kleine Schatz bildet den Grundstock seiner späteren großen Sammlung. Als Schüler und Student beschäftigt er sich in jeder freien Minute mit den Naturwissenschaften. Er besucht die mineralogischen Sammlungen der Stadt, hört Vorlesungen in Chemie und Physik und erkundet Halles Umgebung, stets auf der Suche nach Raritäten für seine Gesteinskollektion.

Später, als Keferstein bereits mitten im Berufsleben steht, besucht er die naturphilosophischen Kollegien des charismatischen Naturforschers Henrik Steffens (1773–1845). Seine gesamte Freizeit widmet er der Mineralogie und Geologie, deren Handwerkszeug er sich nach und nach aneignet. Unterstützt wird er dabei von seinem Schwager Ernst Friedrich Germar (1786–1853), der fossile Insekten erforscht und ihm Vorlesungsmitschriften aus Studententagen zum Selbststudium überlässt. Germar hatte seinerzeit an der Freiberger Bergakademie beim berühmten Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749–1817) studiert. Keferstein, unternimmt immer längere Reisen, von denen er vor der Naturforschenden Gesellschaft in Halle, zunehmend aber auch in eigenen Veröffentlichungen berichte.



Als verheirateter preußischer Justizkommissar und Hofrat mit ansehnlichem Vermögen, quittiert Keferstein in den 1820er Jahren den juristischen Dienst, um sich ganz der Wissenschaft zu widmen. Sein Ziel ist es, sämtliche deutsche Mittelgebirge und die wilde Alpenbergwelt mit geognostischem Blick zu durchwandern. Dabei begegnet er den bedeutendsten Naturforschern und Geologen seiner Zeit wie Johann Carl Wilhelm Voigt (1752–1821), Ami Boué (1794–1881) und Carl Cäsar von Leonhard (1779–1861), mit denen er sich austauscht und so ein weitverzweigtes Korrespondenznetzwerk aufbaut. Höhepunkt ist eine persönliche Begegnung mit Alexander von Humboldt (1769–1859) in Paris 1825, von dessen Einfluss in höchsten Kreisen er sich – wenngleich vergeblich – viel verspricht.



Von seinen ausgedehnten Exkursionen erhofft sich Kieferstein einen gründlichen Überblick über die geologischen Verhältnisse Mitteleuropas. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse münden in einem Mammutprojekt: ein farbiger geognostischer Atlas samt wissenschaftlicher Fachzeitschrift. Kolorierte geologische Karten sind zu dieser Zeit zwar schon gang und gäbe, doch beschränken sie sich nur auf bestimmte Regionen und vor allem ökonomisch relevante Bodenschätze. Was Keferstein jedoch vorschwebt, eine Karte der Geologie ganz Deutschlands, ergänzt durch Spezialkarten, ist zu diesem Zeitpunkt etwas Einzigartiges. Zusammen mit einem Weimarer Wissenschaftsverlag entsteht so die erste geologische Überblickskarte des damaligen Deutschlands.



Besonders knifflig gestaltet sich der Entwurf einer geeigneten Farbpalette, die die verschiedenen Gesteine beim späteren Druck deutlich und ästhetisch überzeugend voneinander abgrenzen soll. Kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), dem die Geognosie ein geliebtes Steckenpferd ist, kann dafür gewonnen werden, geeignete Farben auszusuchen, was Kieferstein mit mächtigem Stolz erfüllt. Die Karten und Zeitschriften erscheinen zwischen 1821 und 1831 in mehreren Heften unter dem Titel Deutschland, geognostisch-geologisch dargestellt. Das ambitionierte Vorhaben, das der Amateurgeologe fast im Alleingang zu bewältigen suchte, wird schließlich jedoch eingestellt. Noch bis 1840 durchreist Kieferstein die Gebirge Mittel- und Osteuropas und publiziert seine Erkenntnisse, veröffentlicht gar eine hoch angesehene Geschichte der Geognosie. Mit der Zeit jedoch meldet sich das Alter und das kräftezehrende Wandern fällt ihm schwerer. Auch Enden seine mitunter eigentümlichen Ansichten bei den tonangebenden Geologen kaum noch Anklang – die Zeit der Dilettanten ist vorüber. Betätigungsfelder, die er bequem vom Schreibtisch aus durchstreifen kann, beendet er in der Ethnographie und Sprachgeschichte. Kieferstein stirbt, von der Fachwelt fast schon vergessen, am 28. August 1866 in seiner Heimatstadt. Seine Sammlung von Fachbüchern, Briefen  und Karten vermacht er den Franckeschen Stiftungen. Die Gesteinssammlung befindet sich inzwischen im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.