Das Studentenwerk Halle – die älteste Studierendenhilfe in Deutschland

Gegen Ende des ersten Weltkrieges stagnierte die Wirtschaft in Deutschland im Zuge der Kriegsschäden und Inflation stark, was die Verarmung der Bevölkerung zur Folge hatte. Studierende stellten eine stark betroffene Gruppe dar, da sich ihr Studium nur schwerlich finanzieren ließ. Am 9. Juli 1918 wurde aus diesem Grund in Halle ein Verein namens „Akademische Speiseanstalt“ gegründet. Dieser Verein hatte es sich zum Ziel gemacht, Studenten und „anderen, sich zu einem wissenschaftlichen Zweck in Halle aufhaltenden“ Personen eine „ausreichende und preiswerte Verpflegung“ zu geben. Zentrale Gründungsfigur und erster Vorsitzender war der aus Brandenburg stammende Theologieprofessor und damalige Rektor Wilhelm Lütgert (1867–1938). Der Sitz war schon früh das Gebäude des ehemaligen Hotels „Zur Tulpe“, welches 1919 von der Universität Halle aufgekauft und von da an auch als ständiges Vereinshaus von der Speiseanstalt verwendet wurde. Ab 1920 gab sich der Verein deshalb den Namen „Akademische Speiseanstalt, Burse zur Tulpe e.V.“. Heute befindet sich in diesem Gebäude die Mensa „Burse zur Tulpe“, welches immer noch vom Studentenwerk Halle betrieben wird. 

 

Eine Mitgliedschaft im Vorstand der Akademischen Speiseanstalt war grundsätzlich mit Universitätsämtern verbunden. Vorsitzender war laut Satzung der Gründer Wilhelm Lütgert, solange bis dieser sterbe, Halle verlasse oder auf Eigeninitiative zurücktrete. Weitere Vorstandsmitglieder waren stets der Rektor der Universität Halle, der Universitätsrichter wie auch frei kooptierbare Mitglieder. In der Satzung wurde der Vorstand dazu angehalten, ein gleichberechtigtes Mitglied aus den Reihen der Studierenden aufzunehmen, jedoch nicht dazu verpflichtet. Dominiert wurde der Vorstand von etablierten Akademikern.



1922 gründete sich deshalb ein weiterer Verein, er trug den Namen „Wirtschaftshilfe für Hallische Studierende“. Eine wichtige Figur bei dieser Gründung war der aus Berlin stammende Philosoph, Pädagoge und Wohltäter Paul Menzer (1873–1960). Menzer saІ als Rektor der Jahre 1920 und 1921 bereits im Vorstand der Akademischen Speiseanstalt. Grund für die Gründung eines zweiten Vereins mag der Wunsch nach einer stärkeren Vernetzung mit der Studierendenschaft zum Einen, aber auch mit der Wirtschaft zum Anderen gewesen sein. Im Vorstand der Studierendenhilfe waren entsprechend drei feste Ämter vorgesehen: Der Vorsitzende, stets ein Dozent an der Universität Halle, dazu eine „im Wirtschaftsleben stehende“ Person sowie ein Student. Im Gegensatz zu Lütgerts Akademischer Speiseanstalt war Menzers Verein weniger an der Universität etabliert, weswegen letzterer stets der finanziell und personell Schwächere von beiden war. Die beiden Vereine sahen sich jedoch nicht als Konkurrenten. Auf der Mitgliederversammlung vom 25. November 1925 des, mittlerweile in „Hallische Studentenhilfe“ umbenannten Vereins Menzers wurde die Zusammenarbeit mit der Speiseanstalt beschlossen. Man wolle zusammen aus dem Gebäude des ehemaligen Hotels zur Tulpe ein modernes Studentenhaus machen. Dies blieb ein stetiges Ziel Paul Menzers. Dennoch konnte es vorerst nicht erfüllt werden. Die Speiseanstalt schaffte es nicht, Kapital dafür aufzubringen, während die Studentenhilfe im Allgemeinen zu finanzschwach war.

 

Im Jahre 1927 fusionieren die Vorstände der Studentenhilfe und der Speiseanstalt zur Personalunion, wodurch Menzer Lütgert als Vorsitzenden der Speiseanstalt ablöste. Da er nun das Kapital beider Vereine, wie auch die finanzielle Unterstützung der Wirtschaftshilfe der deutschen Studierendenschaft in Dresden zur Verfügung hatte, konnte er den Ausbau des Tulpengrundstückes voranbringen. Auf den Mitgliederversammlungen beider Vereine am 11. Mai und am 1. Juni des Jahres 1927 fiel der Beschluss und bereits 1928 war der auffällige Erweiterungsbau des Architekten Julius Kallmeyer mit seinen Fensterbändern in Formen des „Neuen Bauens“ beendet.



In den folgenden Jahren konzentrierte sich Menzer auf die Arbeit in der Speiseanstalt, welche immer noch im Tulpengebäude ihren Sitz hatte. Die Hallische Studentenhilfe verlor derweil an Bedeutung, weswegen sie sich auf der Mitgliederversammlung am 13. März 1931 auflöste. Bestände und Vermögen gingen gänzlich an die Speiseanstalt. Diese gab sich im selben Jahr den Namen „Hallisches Studentenwerk, Burse zur Tulpe e.V.“.



Paul Menzer blieb bis 1933 Vorsitzender des Studentenwerks. Dann wurde er von rechtsextremen Studenten und Kollegen dazu genötigt, den Vorsitz aufzugeben. Sein Nachfolger war der nationalsozialistische Agrarökonom Emil Woermann (1899–1980). Das Studentenwerk bestand noch weiter bis zum 13. September 1938, als es sich im Zuge der Umsetzung des Reichsstudentenwerksgesetzes auflösen musste. Erst 1990, im Zuge der Wiedervereinigung, gründete sich das Studentenwerk Halle in der Tradition des alten Studentenwerks neu. Dies macht das Studentenwerk Halle zum ältesten Studentenwerk in Deutschland, noch vor dem Studentenwerk Bonn (19. September 1919) und dem Studentenwerk Dresden (4. Dezember 1919).