Jenny Gertz (1891–1966) – eine Tanzpädagogin und Aktivistin zwischen den Systemen

Als Tochter eines wohlhabenden Buchdruckereibesitzers wurde Jenny Gertz 1891 in das Berliner Bürgertum geboren. Ein Hauslehrer, ein Sommerhaus auf Rügen, eine Segeljacht und der Besuch eines englischen Mädcheninternats gehörten zu den Annehmlichkeiten in Gertz’ Kindheit und Jugend. Nach eigenen Angaben wandte sie sich jedoch früh von diesem privilegierten Leben ab – und den Sorgen und Nöten der Arbeiterklasse zu. Nachdem sie eine Ausbildung zur Volksschullehrerin abgeschlossen hatte, ging die damals 25-Jährige 1917 nach Hamburg. Gertz’ Zeit dort war geprägt von einer intensiven weltanschaulichen Suche. Sie wurde Pazifistin, hatte Kontakt zur KPD, zu Freidenkern, zur Frauenliga für Frieden und Freiheit sowie zur Wandervogel-Organisation und entdeckte schließlich die Arbeit von Rudolf von Laban (1879–1958) für sich und die Kindergruppen, die sie damals betreute. Von Laban, der als einer der Begründer des Ausdruckstanzes gilt, entwickelte das Konzept des Bewegungschores, d. h. einer durch einen professionellen Tänzer angeleiteten Gruppe von Tanzenden (meist Laien), in der durch Tanz Gemeinschaft geschahen werden und das Individuum im Kollektiv aufgehen soll. Die Laban-Bewegung hatte das Ziel, Bewegungsfreude zu verbreiten und die Kräfte des Tanzes für die Allgemeinbildung und Erziehung nutzbar zu machen. Für Jenny Gertz sollte die tänzerische Erziehungsarbeit mit Kindern zum Lebensinhalt werden.



Ende 1923 absolvierte sie das Laban-Diplom und unterrichtete an der Labanschule Hamburg, bis sie 1927 nach Halle (Saale) wechselte, um die Bewegungschöre Laban Halle zu gründen. Für das Training der Kinder- und Erwachsenengruppen nutzte sie die Turnhalle der Moritzburg und Räumlichkeiten in der Großen Wallstraße. Daneben war Gertz als Hilfslehrerin an der Weltlichen Schule Süd angestellt, die vor allem von Kindern politisch aktiver Arbeiter besucht wurde. Zu den Schulklassen, Jenny Gertz (1891–1966) – eine Tanzpädagogin und Aktivistin zwischen den Systemen Johanna Keller Tanzende Kinder der Landesblindenanstalt Halle die sie hier im Bewegungsunterricht anleitete, gehörte auch die sogenannte Vorklasse. In dieser wurden Kinder, die als noch nicht bereit für die erste Klasse eingeschätzt worden waren, auf den Schulunterricht vorbereitet – darunter Kinder mit dem Downsyndrom, Schwerhörige sowie nervöse und verhaltensauffällige Mädchen und Jungen. Anhand des gemeinsamen Tanzens lernten die Schüler, sich in die Gruppe einzuordnen, auf andere Rücksicht zu nehmen und Aufforderungen; umzusetzen; aber vor allem lernten sie selbstständig und selbstbewusst kreativ zu werden.



Im Dezember 1932 eröffnete Jenny Gertz das Haus der Tänzer in der Barbarastraße Nr. 11. Hier sollten Kinder und Erwachsene nicht nur zum Tanzen zusammenkommen, sondern auch mit Gertz und ihrer Assistentin in einer Erziehungsgemeinschaft zusammenleben. Doch der Traum vom Haus der Tänzer hielt nicht lange an. Bereits im März 1933 wurden Gertz und ihre Assistentin von der Gestapo verhaftet. Sie hatten im Rahmen von Tanzveranstaltungen mit den Erwachsenenbewegungschören politische Inhalte aufgeführt und dazu aufgerufen, bei den Märzwahlen 1933 die KPD zu wählen. Nach ihrer Freilassung flohen die beiden Frauen in die Tschechoslowakei. Später ging Gertz nach England, wo sie das Kriegsende erlebte.



1947 kehrte die Tanzpädagogin nach Halle zurück und richtete den Kinderclub „Jenny Gertz“ in den Franckeschen Stiftungen ein. Im Sommer 1948 unterrichtete Gertz blinde und sehbehinderte Kinder der Landesblindenanstalt Halle. Da bei ihrer Methode weniger visuelle Vorbilder nachgeahmt, sondern vielmehr Bewegungen auf Stichworte hin frei assoziiert wurden, eignete sich das Vorgehen hervorragend zur Arbeit mit Blinden. Zum Teil setzten die Kinder gemeinsam mit sehenden Kindern vorgetragene Geschichten in Bewegung um. Die Zusammenarbeit mit der Anstalt dauerte aufgrund von Gertz' schlechter Gesundheit und Unstimmigkeiten mit der Anstaltsleitung jedoch nur wenige Monate. Auch die Leitung des Kinderclubs gestaltete sich wegen fehlender finanzieller Mittel und fehlenden Personals schwierig. Daher wurde das Projekt 1951 der Stadt unterstellt und in eine Kindertagesstätte sowie Pioniergruppe umgewandelt. Auf diese Weise erhielt Jenny Gertz zwar finanzielle Unterstützung, sah sich aber mit fremder Einflussnahme und Unverständnis für ihre Methode konfrontiert. Ihr Vorgehen war weder in erzieherischer Hinsicht systemkonform noch in tänzerischer, da die DDR zu diesem Zeitpunkt vor allem klassisches Ballett und Volkstanz förderte. Gegen ihren Willen wurde die Kindertagesstätte Ende 1953  an das Neuwerk verlegt. Überforderung aufgrund der stetig steigenden Kinderzahlen, ihre Erkrankung und ein Zerwürfnis mit dem Kreisreferat Kindergarten führten dazu, dass Jenny Gertz im Mai 1953 kündigte. Sie verstarb nach langer Krankheit am 13. September 1966.